Geld

Austausch und Verpflichtung

Was ist Geld? In Zeiten elektronischen Datenverkehrs ist es offensichtlich, dass Geld keine Masse braucht, sondern auch als bloße Zahl volle Wirksamkeit hat. Es ist quantifizierte soziale Information, die auf vielfältige Weise übermittelt werden kann. Diese Zahlensymbole sind immer Teil einer umfassenderen Sprache. Worte und Preise teilen die Eigenschaft, für Dinge gehalten zu werden, die unabhängig von ihrer Verwendung, also ihrem Austausch, eine Bedeutung besitzen. Obwohl das nicht der Fall ist, wirken Geld und Sprache ganz objektiv.

Wie viel Geld gibt es überhaupt? Im Alltagsverständnis wird Geld als begrenzte Menge von Dingen vorgestellt, die in Form von Münzen und Scheinen greifbar ist. Das allermeiste Geld existiert jedoch nur als Versprechen. Die Zentralbanken haben unterschiedliche Methoden, um aus den verschiedenen Arten von Krediten ungefähre Geldmengen zu berechnen – eine genaue Zahl gibt es nicht. Jede Schätzung ist sofort veraltet, denn Geld produziert durch Verzinsung unaufhörlich neues Geld in Form von Schulden.

Im „Regime des Zynismus“ gibt es niemals genug Bargeld, um alle Schulden zu bezahlen. Die von Ökonomen abgeschirmten Zahlenwerke fixieren die Verhältnisse der Macht, des Eigentums und des Überlebens. Sie regeln einen verzögerten Austausch, der älter ist als die Standardisierung von begehrten und möglichst unvergänglichen Gegenständen. Kredit ist die Anerkennung einer genau quantifizierten Verpflichtung. Er produziert einen Austausch, der dem „do ut des“ des religiösen Opfers ähnelt, mit dem entscheidenden Unterschied, dass Menschen im Gegensatz zu Göttern tatsächlich in Schuldverhältnisse gedrängt werden können.

Die Verpflichtung, eine Gabe in Zukunft zu erwidern, ist nach Auffassung von Marcel Mauss einer der Grundmechanismen menschlicher Interaktion. Noch unerfüllte Verpflichtungen sind für ihn der soziale Kitt, der das Zusammenleben erst möglich macht. Der anonyme Tausch von Münzen und Scheinen hingegen ist eine historisch-zufällige Innovation, die möglicherweise bald außer Mode gerät. Im Gegensatz zum Bargeld, dessen höchstes Freiheitsversprechen der „Koffer voller kleiner Scheine“ ist, der von jedermann benutzt werden kann, erlauben digitale Austauschsysteme die Speicherung und Zuordnung aller Verpflichtungen – und damit ihre absolute Kontrolle.

Literatur

Boyle, David 2003. The Little Money Book. New York: Alaistar Sawday Publishing.

Graeber, David 2011. Debt. The First 5.000 Years. New York: Melville House Publishing.

Simmel, Georg (1900) 2009. Philosophie des Geldes. Köln: Anaconda.

Texte