Modischer Stoizismus

Vor allem in der englischsprachigen Welt sind die antiken Stoiker momentan schwer in Mode. Ein Beispiel ist dieser Artikel, der eine ganze Reihe von anderen Artikeln verlinkt. Als Freund antiker Philosophie weckt diese Begeisterung für den Stoizismus bei mir gemischte Gefühle.

Ich rege mich auf über die verkürzte Darstellung der Denktradition, die fehlenden geschichtlichen Hintergründe und die Verwurstung der Stoa durch selbsternannte Gurus. Allerdings ist das schon mit vielen Denkrichtungen geschehen, also warum einmal nicht mit etwas Antikem?

Ein grundsätzlicher Einwand erscheint mir dennoch aufschreibenswert. Die stoische Grundhaltung wird oft mit dem Gelassenheitsgebet in Verbindung gebracht – wer sich nur um das kümmert, was im eigenen Einflussbereich ist, hat weniger Sorgen. Das mag stimmen, doch wo liegt nun genau die Grenze zwischen Beeinflussbarem und Unvermeidlichem? Im Gelassenheitsgebet wird Gott um die Klärung dieser Frage gebeten. Sie bietet jede Menge politischen Sprengstoff.

Beispiel: Ist die ungerechte Verteilung des Eigentums ein Umstand, an dem ich nichts ändern kann? Ein kognitiver Verhaltenstherapeut würde die Frage bejahen. Ein Gewerkschaftler der alten Schule eher nicht. Wer empfiehlt, die gesellschaftlichen Verhältnisse einfach zu akzeptieren, unterstützt den Status Quo und macht es den Mächtigen leichter. Kein Wunder, dass von den alten Stoikern vor allem die Gesellschaftskompatiblen wahrgenommen werden, wie der kaiserfreundliche Seneca oder Marcus Aurelius, der selbst Kaiser war. So wird der Stoizismus zum Bestandteil der Happiness Industry, die alles Politische verschleiert. Einer Lehre, die mehr als das „übliche Unglück“ verspricht, misstraut man wohl immer besser.

Wer sich tiefer für das Thema Stoa interessiert, kann sich an allen möglichen Stellen informieren. Ich empfehle die Podcast-Serie History of Philosophy als guten Einstieg. Die Folge über Epiktet ist wohl am unterhaltsamsten.